Ausschnitt aus "Zweitwesen"



jim jones: hallo hayden.
lou blackheart: woher kennst du meinen real life namen?
jim jones: wir würden uns gerne mit ihnen treffen.
lou blackheart: wer ist wir?
jim jones: für den moment reicht es völlig zu wissen, dass wir von der regierung sind.
lou blackheart: meine weste ist rein.
jim jones: wissen wir. darum geht es auch nicht.
lou blackheart: was dann?
jim jones: wir möchten ihnen gerne ein interessantes angebot unterbreiten.
lou blackheart: ?!
jim jones: allerdings nicht hier im chat. können wir uns morgen mittag treffen?
lou blackheart: prinzipiell ja.
jim jones: gegen 12am central park nahe der station im süden.
lou blackheart: oki.
jim jones: vielen dank für ihr interesse cu.
lou blackheart: cu.

*

Hayden verließ die U-Bahn am Central Park. Wer auch immer ihn zu sehen wünschte, hatte ein Treffen an einem öffentlichen Platz gewählt. Es gab also keine Gefahr zu fürchten. Nicht einmal die Mafia war so blöd, ihre Opfer auf offener Straße abzuknallen. Und für einen Ehrenmord taugte Hayden nicht, dazu war er zu gewöhnlich. Woran aber sollte er seinen Gesprächspartner erkennen? In der Nähe der Station, hatte es geheißen. Am südlichen Ende des Parks. Unschlüssig setzte er sich auf eine Parkbank, von der aus man einen guten Überblick hatte. Bestimmt eine Viertelstunde lang rührte sich nichts. Jedenfalls nichts von Belang. Dann tauchten drei Männer in Anzügen auf. Alle drei trugen Sonnenbrillen, die jeglichen Ausdruck in ihren Augen verbargen. Der mittlere war ein Farbiger, der seine beiden Begleiter um gut einen halben Kopf überragte. Auch unterschied er sich von den beiden nahezu identischen Soulbrothers durch seine Sonnenbrille mit den kleinen verspiegelten Gläsern, die in seinem Gesicht geradezu winzig wirkte. Wie Edelsteine funkelten sie Hayden in der Sonne an, als er sich zu ihm herab beugte.
„Entschuldigen sie, der Rushhourverkehr hat uns aufgehalten. Es freut mich, dass sie die Zeit gefunden haben. Wollen wir ein kleines Stückchen spazieren gehen?“
„Klar, warum nicht.“
Der Park war an diesem Vormittag wenig frequentiert. Hauptsächlich Rentner und Mütter, die ihre Kinder auf den Spielplatz brachten. Später, da würde die Sonne durch den diesigen Himmel stoßen wie eine kleine Offenbarung. Dann würden auch die Teenager von der Schule kommen, und am Springbrunnen herumlümmeln. Doch bis dahin hatten sie das Gelände praktisch für sich. Als sie sich einer leeren Bank am Ententeich näherten, deutete der Schwarze ihm mit einer kurzen Handbewegung an, Platz zu nehmen.
„Ein lauschiges Plätzchen, und doch nicht belauscht.“
„Verstehe ich nicht ganz.“
„Alter Agentenwitz. Nicht lustig, was?“
„Entschuldigen sie, ich wollte nicht unhöflich sein.“
„Oh! Das sind sie nicht, keine Sorge. Der Mangel an Taktgefühl befindet sich ganz auf meiner Seite. Gestatten sie mir, mich vorzustellen: Mein Name ist Mellows.“
Innerlich schien er von einem unterdrückten Lachen zerrissen zu werden. Was ihn Hayden nicht gerade sympathischer machte.
„Und ihre beiden Kollegen?“
Die beiden anderen Männer mit den überbreiten Sonnenbrillen nickten einander kurz zu, und postierten sich an beiden Enden des Kiesweges, der an ihre Uferseite mündete.
„Nicht so wichtig.“
Mellows machte eine wegwerfende Geste mit seiner rechten Hand, an der ein goldener Ring mit einem kleinen roten Stein steckte. Wie das Auge eines Wiesels.
„Seid ihr Jungs eigentlich vom FBI oder von der CIA?“
„Weder noch. Der amerikanische Staat hat mehr Organe als eine Krake Saugnäpfe.“
„Reine Neugier, nichts weiter. Fahren sie fort.“
„So wie es aussieht, können wir jetzt in aller Ruhe miteinander reden. Zuallererst möchte ich ihnen eine Frage stellen. Was wissen sie über den Tod von Senator Edward Keen?“
„Das ging doch vor ein paar Tagen durch die Presse? Jetzt erinnere ich mich. Irgendetwas mit einer Autobombe, direkt mit seinem Zündschloss verdrahtet. Hat den Ärmsten geradezu in Stücke gerissen.“
„Leider stellt seine Ermordung nur die Spitze des Eisbergs dar. Unserem aktuellen Ermittlungsstand zufolge war er in Waffengeschäfte verstrickt. Möglicherweise hat er sich mit den falschen Leuten angelegt.“
„Leute, die dein Auto verminen, zählen mit Sicherheit nicht zum besten Umgang, den ein Mann pflegen kann.“
„Da stimme ich mit ihnen überein. Wir haben ein paar Vermutungen, nicht mehr. Aber es wäre besser, ein ihnen unbekanntes Gesicht einzuschleusen.“
„Wem unbekannt?“
„Dazu komme ich später. Für sie handelt es sich sozusagen um eine sichere Angelegenheit. Nicht zu sprechen von einer außergewöhnlichen, leistungsbezogenen Bezahlung.“
„Reden sie nicht lange um den heißen Brei herum. Worum geht es?“
„Wenn sie heutzutage schmutzige Wäsche haben, bringen sie sie in den Waschsalon. Haben sie schmutziges Geld, bringen sie es ins Second Life. Zahlen harte amerikanische Dollar ein, tauschen zum aktuellen Wechselkurs in Lindendollar, und kein Mensch fragt mehr, aus welcher Quelle das Geld geflossen ist. Sie ahnen nicht, wie viele dieser Transaktionen sich weitestgehend der Finanzaufsicht entziehen. Daher möchten wir sie dort einschleusen.“
„Ich habe doch schon eine Existenz im SL.“
„Der Unterschied liegt nicht im Avatar, sondern in den Welten. Entschuldigen sie meinen Ausdruck, aber der normale Avatar von der Stange hat nicht überall Zugang. Dazu fehlen ihm einfach Passwörter, Lindendollars, oder die Mitgliedschaft in den wichtigen Communitys.“
„Woher nehmen sie eigentlich die Sicherheit, mir solch vertrauliche Informationen vor die Füße zu werfen? Wenn ich nun ein leidiger Singvogel wäre, der seine Neuigkeiten an das nächste Tagesblatt verplappert?“
Ein breites Haifischgrinsen verzerrte Mellows Gesicht, ließ mehr strahlend weiße Beißer erkennen als nötig.
„Wenn wir davon ausgehen würden, wären sie schon längst tot. Das können sie mir glauben. Morgen Mittag. Gleiche Zeit, gleicher Ort. Erwarten wir ihre Entscheidung.“
Mit Knien, die sich so weich anfühlten wie englisches Weingummi, erhob Hayden sich von der Bank. Der Blick der beiden Leibwächter (oder waren es Agenten? Auftragskiller?) lastete wie Blei auf ihm. Mellows Worte folgten ihm wie eine Sturmböe, die bis auf die Haut frösteln machte.

*

Wo war eine Ehefrau, wenn man sie einmal um Rat brauchte? Kein Freund beiseite, den er in die aktuellen Geschehnisse einzuweihen wagte. Betrübt schrie er einen kaum menschlichen Laut in die viel zu große Wohnung, in die Lücke, die Clara hinterlassen hatte. Das Geld fing an, knapp zu werden. Das Appartement war gut genug gewesen, als sie noch eine Familie waren. Nun wuchs ihm die monatliche Belastung zusehends über den Kopf. Ein guter Grund, um sich Mellows Angebot durch den Kopf gehen zu lassen. Der halbe Kleiderschrank, wo sich Staub und Spinnweben niederließen. Die endlose Steppe des Doppelbettes. Der kleine Küchentisch, wo sie gemeinsam ihren Kaffee tranken, bevor er die Bahn ins Büro nahm und seine Frau Christian in die Schule brachte. Gehörte nun ihm allein.
Es war voll und ganz richtig, was Mellows gesagt hatte; ein Angebot, wie es ihm selten offeriert wurde. Nach Claras Auszug hatte das Leben schnell wieder zu seinem gewohnten Rhythmus gefunden. So wie eine einzige Welle den Ozean nicht aufzuwühlen vermochte. Bloß, dass es sich nicht wie ein Leben anfühlte. Vielmehr eine Abfolge immer gleicher Abläufe, die sich mit der Zeit abnutzten. Hobbys hätten ihn zerstreuen können. Doch die einzige Tätigkeit nach dem ewigen Kreislauf von Fressen-Scheißen-Arbeiten blieb im Second Life verborgen. Sollte sein Engagement in diesem Bereich irgendwann einmal Früchte tragen? Kein Gedanke, der diese Möglichkeit aufgegriffen hätte. Worin lag denn seine Besonderheit, die die Regierung auf ihn aufmerksam gemacht hatte?

*

Zwei Uhr nachts, noch immer kein Schlaf zu finden. Hayden würde vollkommen gerädert zur Arbeit erscheinen. Beileibe kein Novum. Im Second Life schien die Zeit wie festgefroren. Oft genug zählte die Uhr im Salon nicht früher als drei Uhr morgens. Womit er sich die Nacht um die Ohren schlug war die Entscheidung, die er morgen zu fällen hatte. Verzeihung, heute schon. Das Heute blieb eine Frage von Stunden. Nicht mehr und nicht weniger. Sein aktuelles Leben erschien ihm wenig befriedigend, geradezu substanzlos. Weil er sich selbst in Auflösung befand. Die Ehe in Trümmern. Seine Frau ein unguter Traum, der nur einen Fingerbreit von seiner Erfüllung entfernt schien. Und auch das war nur ein Hirngespinst, welches er sich eingeredet hatte. Sie war verloren. Egal, wie lange er hoffte und sehnte. Nun, wenn er den Mut besaß, und der Welt zeigen wollte, was für ein Mann in ihm steckte (Clara mit eingeschlossen), dann wäre es wohl das Beste, Mellows Angebot anzunehmen.

*

„Wenn das nicht unser Mann ist. Wie sieht es aus, Wood, haben sie sich die ganze Sache noch einmal überlegt?“
„Ich bin dabei.“
„Sie werden sehen, eine vernünftige Entscheidung.“
„Eine Frage hätte ich noch.“
„Und die wäre?“
„Klingt vielleicht ein wenig blöd, aber handelt es sich um einen Vollzeitposten? Wenn ja, müsste ich meine alte Arbeit aufkündigen.“
„Bemühen sie sich nicht. Das haben wir bereits für sie erledigt.“
„Sie haben was?“
„Mister Wood, das hier ist kein Kindergeburtstag! Wenn sie aus der Mittagspause kommen, können sie ihre Sachen beim Pförtner abholen.“
„Hatte ich je eine freie Wahl?“
Mellows lachte irritiert auf. Die Frage schien ihn sichtlich zu amüsieren.
„Sicher, sicher. Jederzeit.“
„Und worin besteht mein erster Einsatz?“
„Alles Weitere finden sie hier drin.“
Er reichte ihm eine simple Einkaufstüte aus dünnem Karton mit glänzender Oberfläche. Seitlich prangte der Schriftzug von Macy's. Neugierig machte Hayden sich an der kleinen Kordel zu schaffen, die die Tasche verschloss.
„Öffnen sie ihre Geschenke nicht vor dem Weihnachtsmorgen. Sie wollen den Kindern doch die Überraschung nicht verderben.“

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