Rezension zu "Automatenliebe"


MAN MERKT, WENN SICH JEMAND WIRKLICH MIT DEM INHALT AUSEINANDERSETZT. DANKE NOCHMAL!

Gedichte sind Gefühlssache und demzufolge nutzt einem Dritten nicht, ob sie dem ersten Leser „gefallen“ haben. Man kann diese Gedichte nicht schön finden im Sinne von einschmeichelnd, geeignet, dem aktuellen Objekt der Begierde zu schenken, das nicht. Aber man begibt sich auf Reisen in Innerwelten. Die Titel der einzelnen Gedichte sind Notbehelfe, viele Zeilenbrüche helfen beim Luftholen. Die Wörter werden mit Gewicht beladen. Man kann sich in sie hineinstürzen, mit ihnen stolpern, auf Nachempfinden fallen, Pflaster für aufgeschabte Gefühlsknie sollte man parat haben. „Automatenliebe“ verrät mir als Titel zu wenig. Immerhin wusste ich vorher, Lyrik von Thomas Reich das heißt „moderne Lyrik“. Reime waren keine zu erwarten. Freies Spiel mit Sprache dagegen schon.
Ganz ohne Überraschung ging es aber nicht ab. In dem Bändchen finden sich nämlich nicht aneinander gereihte einsame Gedichte, sondern die Gedichte, die da aufeinander folgen, „erzählen“ in ihrer Abfolge durchaus eine „Geschichte“, richtiger zwei, nämlich die eines Er-Ichs und die eines Sie-Ichs, wovon mich der Versuch, sich in die „Schlampe“ (?) zu versetzen, nicht restlos überzeugt hat. Das männliche Ich wird dagegen plastisch. Eigentlich geht es um ins Krankhafte reichende Bindungsproblemen, etwas zugleich fürchten und wünschen, aber nicht können, sich mit Äußerem zufrieden und doch nicht zufriedengeben. Es könnte ein Roman sein, es ist aber etwas im Inneren des Ichs Wahrgenommenes, beschrieben in der Bildverzerrung von Diskoflackerlicht, weggedrückt von zu lautem Ton, der eben deshalb nicht aufgenommen wird. Nachklang bleibt, wenn man draußen steht. Bei mir oft der Wunsch auf ein „Gegen-Gedicht“. Inspiration, weil Unverbrauchtes, Verstörendes.
Die meisten Gedichte enthalten mindestens einen den Gedichtcharakter verletzenden sprachlichen Ausdruck, etwas, was nicht hineinzupassen scheint … was sich aber mehr und mehr als Methode entpuppt.
Reichs Ich schenkt sich nichts, seziert sich. Man riecht förmlich die seelische Desinfektion eines Kreißsaals, der keine Wehenmittel kennt. Wie lässt Reich sein lyrisches Er-Ich sagen? „Ich verschanze mich / hinter meine Kälte … Die Sympathie / ist gegeben, / für eine Freundschaft. / Kompliziert / wird es dadurch / dass wir auch / das Bett miteinander teilen / immer wieder gerne / du / mit dem festen Freund. // Ich habe ein Talent / mich / in groteske Situationen / zu bringen.“ Thomas Reich lädt uns ein, dabei zu sein … und ich war nachher froh, aus diesem Alter heraus zu sein ...
Das Layout hätte übrigens mehr Liebe verdient gehabt.

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